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Mein Date mit dem Chaos

– oder wie ich Tokio überlebte

©unsplash_yu_kato
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Tag 1 – Shinjuku: Willkommen in der Großstadt-Gleichstromfalle


Ich landete in Tokio mit großen Plänen, einem Koffer voller leichter Kleidung (denn Frühling in Japan klang nach Kirschblüten, nicht nach Feuchtbiotop) und einem Selbstbewusstsein, das man nur hat, wenn man noch nicht weiß, worauf man sich eingelassen hat.

Meine Unterkunft lag in Shinjuku, dem Endgegner unter den Bahnhöfen. Für den ersten Eindruck ging ich also gleich auf ein Speed-Date mit der Hölle. Ich schwöre, Shinjuku hat mehr Ausgänge als mein Liebesleben rote Flaggen – und ich war schon nach 10 Minuten verloren. Nicht geografisch. Seelisch.

Ich fragte einen Bahnmitarbeiter nach dem Weg. Er sah mich an, als hätte ich ihn gebeten, mir den Sinn des Lebens zu erklären – in Origami. Dann lachte er höflich. Und deutete auf einen Ausgang. Ich weiß bis heute nicht, ob es der richtige war. Ich glaube, niemand weiß das.

Die Straße vor mir war ein Flimmern aus Bildschirmen, Leuchtreklame und Menschen, die zielstrebig waren. Ich war das Gegenteil davon. Ich blieb stehen, atmete tief ein, und wurde dabei fast von einem Lieferfahrrad mit blinkendem Neon-Hasen überfahren. Willkommen in Shinjuku.



Tag 2 – Harajuku: Ich, ein Regenbogen-Accident auf zwei Beinen


An Tag zwei beschloss ich, mich unter die coolen Kids zu mischen. Harajuku, so hatte ich gehört, sei der Ort für Mode, Kreativität und absolute Identitätsverwirrung. Also trug ich mein bestes "Ich bin offen für alles"-Outfit (schwarzes Shirt und Jeans, der Inbegriff kultureller Feigheit) und trat auf die Takeshita Street wie ein Lamm auf einem Technofestival.

Ich wurde begrüßt von rosa Zuckerwatte, Crepes mit Cheesecake-Füllung und einem Mann im Einhornanzug, der mir ohne Kontext sagte: „Du bist heute eine Banane.“ Ich bedankte mich. Es fühlte sich angemessen an.

In einem der vielen Accessoireläden kaufte ich aus Gruppenzwang eine Sonnenbrille in Form von Pandaohren. Ich trug sie. Ich wurde fotografiert. Ich glaube, ich bin jetzt auf einem Instagram-Konto mit dem Namen GaijinKawaiiFails.

Ich verließ Harajuku mit glitzernden Fingernägeln (Danke, Gratisprobe) und einem neuen Lebensmotto: Wenn du schon verloren bist, dann wenigstens stylisch.


©unsplash - louie_martinez, jezael_melgoza


Tag 3 – Akihabara: Liebe auf den ersten Knopf


Akihabara – das Technoparadies, wo Neonlicht auf nerdige Träume trifft. Ich ging rein, als neugierige Touristin. Ich kam raus mit einem Plastik-Drachen, einem Gameboy-Schlüsselanhänger und der Telefonnummer eines Typen namens Yuki, der mich fragte, ob ich „Digimon oder Pokémon“ bevorzuge.

Wir lernten uns in einer Purikura-Fotokabine kennen – ich dachte, es sei ein Passbildautomat, er dachte, ich sei cosplaybereit. Ich posierte wie eine Steuerberaterin beim Bewerbungsgespräch. Er wie ein Superheld. Das Bild ist furchtbar. Und wunderschön.

Später zeigte er mir seinen Lieblingsgame-Shop, in dem ein Angestellter uns mit einem Megaphon begrüßte, als wären wir Stammkunden. Ich kaufte ein altes Tamagotchi. Es starb zwei Stunden später. Ich trauerte. Yuki tröstete mich mit Bubble Tea.

Ich begann, mich ein wenig zu verlieben. In ihn. In Akihabara. In die Tatsache, dass nichts hier auch nur ansatzweise Sinn ergab. Und das war okay.



Tag 4 – Asakusa: Tempel, Trubel und Tränen (aus Versehen)


Ich wollte Spiritualität. Ich bekam Socken mit Tempelmotiven und ein Gebet, das mich mitten ins Herz traf.

Der Senso-ji-Tempel ist beeindruckend. Und voll. Sehr voll. Ich war mitten in der Menschenmasse, als ich versuchte, eine dieser kleinen Omikuji-Glückszettelboxen zu benutzen. Ich schüttelte. Ich zog. Ich bekam: "Sehr schlechtes Glück". Yuki auch. Wir lachten nervös.

Dann kam die Räucherzeremonie. Ich sah, wie Menschen den Rauch auf ihren Kopf fächelten. „Für Intelligenz“, erklärte Yuki. Ich stand direkt im Wind. Der komplette Rauchschwall traf mich frontal. Ich roch eine Woche lang wie ein Lagerfeuer mit tiefgründigen Absichten.

Aber der Sonnenuntergang auf dem Tempelgelände war magisch. Ruhig. Fast zu ruhig – bis ich über meine eigenen Geta (Holzsandalen) stolperte und mit dramatischer Langsamkeit in ein Matcha-Eis fiel. Zwei Schulmädchen klatschten. Ich verbeugte mich.


©canva


Tag 5 – Shibuya: Der Zebrastreifen meines Herzens


Shibuya war unser letzter gemeinsamer Tag – Yuki musste zurück nach Osaka, ich nach… nun ja, in mein eigenes Leben.

Wir standen auf der weltberühmten Shibuya-Kreuzung, sahen den Countdown laufen und wussten: Jetzt gleich würden wir mit Hunderten anderen gleichzeitig loslaufen. Ich fragte mich, ob das eine Metapher für irgendwas war. Dann liefen wir los. Und verloren uns.

Wirklich. Ich wurde abgedrängt, ein Selfie-Stick krachte mir in die Schulter, und als ich wieder bei der Statue von Hachikō stand, war Yuki weg. Ich rief ihn an. Kein Empfang.

Aber genau da, in diesem Moment des Verlorenseins, kam er angerannt. Mit zwei Melonpan in der Hand. Er grinste. Ich weinte ein bisschen. Ob wegen der Geste oder wegen dem Zucker, weiß ich nicht.



©canva


Bonuskapitel: Kyoto – Schönheit, bei der man sich nicht bewegen will


Kyoto ist wie eine edle Teekanne – wunderschön, still und man weiß nicht, ob man sie benutzen darf. Alles hier wirkt heilig. Die Tempel. Die Gärten. Selbst die Taxifahrer fahren mit Anstand.

Ich besuchte den Fushimi Inari-Schrein und beschloss, alle 10.000 Torii-Tore hochzusteigen. Nach 25 schummelte ich, nach 50 heulte ich. Nach 75 lag ich in einer Ecke und wurde von einer Oma mit Stock überholt.

Aber es war trotzdem wunderschön. Vor allem, als ich in einem kleinen Ryokan unterkam, auf Tatami-Matten saß und mich fragte, ob ich je wieder in meine westliche Realität zurückkehren kann. Die Antwort war nein. Aber mein Rücken sagte: unbedingt.



©canva


Bonuskapitel: Osaka – Die Party, bei der ich nicht eingeladen war, aber trotzdem tanze


Osaka ist laut. Lustig. Ehrlich. Und komplett überfordert mit mir.

Ich landete auf dem Kuromon-Markt, aß Oktopusbällchen mit einer Begeisterung, die ich sonst nur bei Welpen zeige, und wurde in ein Gespräch mit einer Gruppe älterer Herren verwickelt, die mir Sake anboten und wissen wollten, warum mein Japanisch so "süß falsch" klang.

Abends verlor ich meine Gruppe (die ich nie hatte) in Dotonbori, verliebte mich in ein blinkendes Riesenkrabbenschild und landete schließlich bei einem Stand-up-Comedy-Abend, wo ich aus Versehen als Überraschungsgast angekündigt wurde. Ich sagte: „Ich bin kein Comedian, ich bin nur verlaufen!“ Das Publikum lachte. Ich auch. Nervös.


Fazit: Ich habe Japan nicht verstanden – aber ich habe es gefühlt!


Ich kam mit Erwartungen. Ich ging mit Geschichten. Ich habe kein Wort verstanden, aber jede Geste gespürt. Ich habe mir Blasen gelaufen, peinliche Momente produziert, mich verliebt – in Menschen, Städte, Toiletten mit Bedienungsanleitung.


Ich hatte ein Date mit dem Chaos.

Und ich bin bereit für die zweite Runde.



Tipps für dich:

  1. Beste Reisezeit

    März-Mai (Frühling): Kirschblüte-Zeit (Sakura)! Parks in Tokio erstrahlen in Rosa - ein einmaliges Erlebnis

    September-November (Herbst): Mildes Wetter, bunte Laubfärbung, perfekt zum Erkunden

    Juni-August: Warm bis heiß, viele Festivals ("Matsuri") - lebendig, aber schwül

    Dezember-Februar: Kalt, aber klar - mit illuminierter Winter-Romantik in der Stadt


  2. Anreise und Fortbewegung

    Direktflüge aus Deutschland (ca. 11-12 Stunden)

    In Tokio:

    - U-Bahn und JR-Linien - schnell, sauber, pünktlich (mit Suica/Pasmo-Karte ganz easy)

    - Taxis - teuer, aber zuverlässig (besonders nachts)

    - zu Fuß - viele Viertel lassen sich wunderbar zu Fuß erkunden

    - Zugreisen ins Umland - Shinkansen für Tagesausflüge z.B. nach Nikko, Kamakura oder Hakone


  3. Aktivitäten

    Moderne und Popkultur: 

    Shibuya - Weltberühmter Scramble Crossing, Shopping, Street Style

    Harajuku - Jugendkultur, verrückte Mode, Takeshita-Straße

    Akihabara - Elektronik, Manga und Anime -> Nerd-Paradies

    Tradition und Geschichte: 

    Asakusa - Senso-ji-Tempel und traditionelle Gassen

    Meiji-Schrein - Ruhig gelegen im Yoyogi-Park

    Kaiserpalast und Gartenanlagen im Zentrum

    Natur und Erholung: 

    Ueno Park - Üerfekt zu Kirschblüte, mit Zoo und Museen

    Shinjuku Gyoen - Eleganter Stadtpark, Mix aus englischem, französischem und japanischem Stil

    Tagesausflug nach Kamakura - Tempel, Meer und große Buddha


  4. Kulinarik

    Unbedingt probieren: Ramen, Sushi, Takoyaki, Okonomiyaki und Matcha-Dessert, Convenience-Store-Food (z.B. Onigiri oder Bento), lokale Izakayas (japanische Kneipen) für authentische Atmosphäre

    Kulinarische Hotspots: Tsukiji Outer Market (frischer Fisch, Streetfood), Depachika, Golden Gai in Shinjuku


  5. Planung

    Geld: Japanischer Yen (JPY) - Bargeld ist wichtig! (Tipp: Geld abheben an 7-Eleven-Automaten)

    Gesundheit: Keine Impfpflicht, sehr hygienisches Reiseland

    Sprachen: Japanisch, aber in Tokio oft englische Beschilderung und hilfsbereite Einheimische

    Netz und Orientierung: Pocket-WiFi oder eSIM hilfreich für Navigation und Übersetzung

    Budget: Tokio kann teuer sein - aber auch günstig, je nach Wahl der Unterkunft und Verpflegung



Empfehlung: Kombiniere traditionelle Tempel, futuristische Viertel und kulinarische Entdeckungen - Tokio ist nicht nur eine Stadt, sondern ein Erlebnis 🏮🗼🍱



Du möchtest Dich Tokios chaotische Charme erleben? Dann lass Dich von uns über Deine perfekte Reise nach Japan beraten!


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